Wer bekommt das Haus, wer den Schmuck und das Silberbesteck? Die Gründe für Erbstreit liegen oft tief in der Familiengeschichte, sagt der bundesweit bekannte Erbrechtsexperte Gisbert Bultmann aus Recklinghausen.
Seine Familie kennt man erst, wenn man zusammen geerbt hat“, sagt Gisbert Bultmann. Fast immer gebe es dabei Streit. Geschwister konnten noch so dicke miteinander gewesen sein, am Ende siezten sie sich und kommunizierten nur noch schriftlich oder über ihren Anwalt. Bultmann muss es wissen: Er habe nicht nachgezählt, aber es dürften wohl Tausende Fälle gewesen sein, die der heute 72-Jährige in den über 40 Jahren als Anwalt, später Notar und Fachanwalt für Erbrecht, vertreten hat. Warum birgt Erben so viel Streit- und Verletzungspotenzial?
„Das Erbe ist immer unverdientes Vermögen“, so Bultmann. „Dabei werden ähnliche Emotionen geweckt wie beim Spielen und Wetten. Man wird gierig und will möglichst viel vom Kuchen haben.“ Hinzu kommt aber noch etwas Wesentliches: „Kinder wiegen die Liebe der Eltern am Ende in materiellen Dingen auf, und oft fühlt sich ein Geschwisterteil ohnehin schon sein ganzes Leben benachteiligt.“ Im Erbfall setzt sich die tatsächliche oder nur gefühlte Ungleichbehandlung dann fort: Der große Bruder, der immer das größte Stück Fleisch auf dem Teller hatte und als einziger neue Klamotten kriegte, pickt sich – so die Wahrnehmung – ein weiteres Mal die Rosinen heraus.
Oder es besteht die Erwartung, dass diejenigen, die ein Elternteil in den letzten Lebensjahren betreut und gepflegt haben, mit einer materiellen Gegenleistung im Testament berücksichtigt werden. Bleibt die dann aus, gibt es genauso Streit, wie wenn die Arbeit tatsächlich bedacht wird. „Kriegt das pflegende Kind – meist die Tochter – beispielsweise das elterliche Haus zugesprochen, ist die Missgunst der anderen sicher“, so Bultmann.
Sündenfall: Ungleichbehandlung
Aber worin besteht dann die Lösung? „Eltern sollten ihr ganzes Leben peinlich genau darauf achten, ihre Kinder immer gleich zu behandeln. Der Sündenfall liegt in der Ungleichbehandlung.“ Dass sowas aber recht schnell und ohne böse Absicht passieren kann, hat Bultmann selbst erlebt, als er seine Tochter während der Promotion lange finanziell unterstützte. Der ältere Sohn zog dagegen sein Studium schnell durch, wurde früher finanziell unabhängig. „Er hat mich auf einem Weihnachtsspaziergang darauf angesprochen, das sei doch ungerecht. Und mir wurde klar: Ich muss mir etwas für ihn einfallen lassen.“
Dass ein Kind vielleicht mehr Unterstützung benötige, dafür habe das andere oft kein Verständnis. Die alte juristische Weisheit „Gleiches gleich behandeln, Ungleiches ungleich“ sei beim Umgang mit Kindern und beim Vererben also mit Vorsicht zu genießen. Daraus folgt aber nicht, dass ein Kind, dass sich mehr um die Eltern kümmert, sie vielleicht sogar im Alter pflegt, keine keine Entschädigung erhalten sollte. „Man kann nicht erwarten, dass jemand ohne Gegenleistung pflegt. Es gibt sogar einen Paragrafen im BGB, der dies berücksichtigt“, sagt Bultmann. „Pflege ist heute ein Riesenthema.“ Die Gegenleistung müsse aber angemessen sein – ein ganzes Haus sei in der Regel zu viel.
Reden, reden, reden
Am besten, rät Bultmann, besprechen die Eltern schon zu Lebzeiten alles möglichst genau mit den Kindern. „Dann am besten zum Notar gehen und alles festlegen. Wenn man das kommuniziert und einem Kind, das nicht am Haus beteiligt wird, sagt: Das kriegt jetzt die Doris, aber du kriegst eine Abfindung, und wir wollen die Höhe einvernehmlich festlegen, inklusive Zeitpunkt der Fälligkeit – dann ist doch beim nächsten Familientreffen eine ganz andere Stimmung.“ Verständlich, dass viele solche Gespräche lange vor sich herschieben. Bultmann selbst musste noch in einem Interview mit dem Nachrichten-Magazin „Der Spiegel“ 2016 einräumen, zum damaligen Zeitpunkt, noch kein Testament gemacht zu haben.
Man beschäftigt sich eben nicht gerne mit der eigenen Vergänglichkeit. Inzwischen hat er eines. Aber braucht man das zwingend? Ist zur Gleichbehandlung die gesetzliche Erbfolge nicht sogar gerechter? Gisbert Bultmann: „Man muss wissen, was passiert, wenn man es nicht regelt. Die gesetzliche Erbfolge ist nicht immer gerecht“, sagt der erfahrene Jurist. Besonders für den überlebenden Ehepartner kann ein ungeregeltes Erbe problematisch sein – wenn der oder die Hinterbliebene im gemeinsamen Haus weiterleben möchte, den Kindern aber den Gegenwert der ihnen gesetzlich zustehenden Hälfte vom Gesamterbe nicht einfach auszahlen kann.
„Berliner Testament“
In einem solchen Fall wird oft der überlebende Ehepartner zunächst als Alleinerbe und die Kinder erst nach dessen Tod als Schlusserben eingesetzt. Dieses sogenannte Berliner Testament kann allerdings wieder aus Kindersicht problematisch werden, wenn der Überlebende erneut heiratet. Wer viel im Testament regeln möchte, soll sich notariellen Rat holen, empfiehlt Bultmann. Für die Gültigkeit des Testamentes braucht man nicht zwingend einen Notar: Es muss nur handschriftlich verfasst und unterschrieben sein. Auch sei ratsam, das Testament beim Notar zu hinterlegen, damit niemand ein unliebsames Testament einfach verschwinden lassen kann.
Geschwisterstreit vermeiden
In vielen Fällen werden die Eltern ihr Vermächtnis wohl nicht klar geregelt haben. Was können Geschwister dann selbst tun, um Streit zu vermeiden? Bultmann: „Reden, reden, reden. Fünfe gerade sein lassen.“ Und möglichst nicht anfangen, Mails zu schreiben, statt zu reden. „Das ist mir selbst auch passiert, als es um Unstimmigkeiten bei der Pflege unserer Eltern ging. Da habe ich gemerkt: Du musst die Reißleine ziehen! Sonst bist du bald wie einer deiner eigenen Fälle.“